Es war in Wien. Ich hatte mich wie so oft in der Altstadt herumgetrieben und blieb in einer schmalen, menschenleeren Gasse rein zufällig vor der Vitrine einer Geigenwerkstatt stehen wo ich hypnotisiert auf einen Kupferstich starrte, der in der Ecke in der Vitrine lehnte. Warum ich nicht meinen Blick von dem Kupferstich losreißen konnte, war nicht wegen des auf ihm abgebildeten, wenngleich ungewöhnlich aussehenden Mannes: Der Anblick von mir selbst faszinierte mich! Was dann geschah, ereignete sich nicht in unserem Jahrhundert. Ich war ich erkannte es an den Kleidern der Leute in ein früheres Jahrhundert versetzt: In einen immens großen Raum, Konzertsaal oder Auditorium eines Opernhauses, der mit Menschen so überfüllt war, daß sie sich gegenseitig zu erdrücken und über die Ränge hinauszuquellen schienen.
Ich wußte damals nicht, daß das, was mir widerfuhr, sich vor 150 Jahren tatsächlich zugetragen hatte.
( ... )

Ich stand versteinert. Die hereingebrochene Dämmerung verdunkelte die Vitrine. Was war geschehen? War es Einbildung gewesen? Ich war überarbeitet und abgespannt, aß kaum und litt an Schlaflosigkeit vielleicht handelte es sich um eine Halluzination. Wenn es aber keine Sinnesverwirrung war, was war es dann? Und was hatte es zu bedeuten? War es eine Begegnung mit mir selbst in einem früheren Leben? Eine Vision? Die Vorahnung einer Wiedergeburt? Die des auf dem Kupferstich abgebildeten Mannes? War ich der Mann auf dem Kupferstich ...? Je länger ich das verwirrende Hin und Wider erwog, je mehr ich mich in meinem Zustand gegen all diese Gedanken sträubte und sie zu verscheuchen suchte, um so unentwirrbarer verhedderten sie sich und verkrallten sie sich in meinem Kopf. ( ... )

Ich bekam hohes Fieber und Schüttelfrost. Sobald ich mich nach Tagen kräftig genug fühlte, ging ich in die Gasse zurück. Der Kupferstich war aus der Vitrine verschwunden. Ich betrat die Werkstatt, aber ich fand niemand vor, außer einem etwa vierzehnjährigen Knaben. Der wußte nur, daß der auf dem Kupferstich abgebildete Mann Niccolò Paganini war.

Klaus Kinski in seiner Biographie:
»PAGANINI«
(1992)
über die auslösende Idee zu seinem letzten Film